FEAR - Schaubühne Berlin



„Wir sollten aufpassen, dass Deutschland Deutsch bliebt.“ Aber was ist das eigentlich, Deutsch sein? Was ist Heimat? Ist es eine Idee, ein Verhalten, eine Äußerlichkeit? Einfach eine Zuschreibung? Und warum sind so viele Menschen gerade so hasserfüllt? Wovor haben sie Angst?

Angst ist, wie man am Titel leicht erraten kann, das zentrale Thema in Falk Richters Inszenierung „FEAR“. Solch fremdenfeindliche Aussagen wie das anfangs erwähnte Zitat ziehen sich als Audioelemente immer wieder durch das Stück. Es wird deutlich, dass vor allem eine große Angst besteht: die Angst vor dem Identitätsverlust. Wenn sich vielleicht alles ändert, was bleibt dann noch, woran sich die Menschen festhalten können? Woran sie sich klammern können, woran sie sich als „Deutsche“ definieren können? Dass diese, ja schon fast Existenzängste schnell in Hass und Wut umschlagen, wird durch die Leitfiguren rassistischer Propaganda sichtbar: Beatrix von Storch, Gabriele Kuby oder Beate Zschäpe. Die Darsteller*innen in Richters Inszenierung tauschen Positionen und Rollen, sind also einerseits als Darsteller*innen mit ihrem eigenen Namen auf der Bühne, andererseits als Reden schwingende Volksverhetzende auf der Bühne zu sehen. Permanent wird dabei aber reflektiert und hinterfragt, woher dieser ganze Fremdenhass kommt. Zudem wird mit der Bezeichnung „Zombie“ für ebendiese Verbreiter*innen von rassistischem Gedankengut verwendet, denn man sollte doch eigentlich denken, dass solche Gedanken nach 1945 ausgestorben wären. Dass dies nicht der Fall ist, zeigen PEGIDA-Märsche, AfD-Wahlergebnisse und NSU-Attentate.

Die Frau kümmert sich gefälligst um Kinder und Küche!

Auf der Bühne wird dies durch Requisiten repräsentiert: Schattengestalten werden mit Bildern von Zschäpe, Kuby und Co. beklebt, der Pappkörper wird übersät mit AfD-Wahlplakaten und Fotos von Bannern, die „besorgte Bürger“ bei PEGIDA-Demos hoch halten. Zusammen mit einigen NDP-Plakaten werden die Anliegen schnell deutlich: Förderung von „intakten Familien“, die nur aus Mann und Frau und Kindern besteht und in der sich die Frau gefälligst um Kinder und Küche kümmert. Abschiebung von allen Ausländern. Ach, so, nee, natürlich nur Araber*innen. Und Osteropäer*innen. Halt alle, die uns, dem Wohlstandsdeutschland auf der Tasche liegen und/oder muslimischem Glauben angehören könnten und somit Terrorist*innen gleichzusetzen sind. Und natürlich wird bei der AfD auch nicht gegendert, mein Fehler. Der „Gender-Wahnsinn“ muss schließlich gestoppt werden.



Einer der vielen Gänsehautmomente im Stück ist die Szene, in der die Schauspielerin Lise Risom Olsen über Europa in der Ich-Form spricht. „I do whatever it takes to maintain my wealth“, sagt sie und bringt es genau auf den Punkt: Warum sollten wir in Europa unsere Standards herunterschrauben, nur weil es anderen Menschen schlecht geht? Ist doch nicht unser Problem, wir haben doch mit denen nix zu tun. Nur dass wir halt doch alle etwas gemeinsam haben: Wir sind Menschen. „I'm confused, I don't know what to do“, sagt Europa.

Trotz dass in der Inszenierung kurzzeitig auch andere Aspekte der Angst angesprochen werden, wie zum Beispiel Phobien oder Beziehungsängste, liegt der Hauptfokus auf der Flüchtlingsthematik. Aus diesem Grunde wirken eben die anderen Aspekte wie reingeworfen, um dem Ganzen noch eine minimal andere Richtung zu verleihen. Andererseits wird so vielleicht auch der Weitblick geöffnet und Diskurse können sich öffnen.

Zeitgenössischer Tanz als Mittel zur Darstellung

Auf ästhetischer Ebene ist das Stück ein Fest. Neben Text- und Audioelementen hat auch die Choreografie einen hohen Stellenwert im Text, die sehr Falk-Richter-typisch ist. Das meint, dass zeitgenössischer Tanz als Mittel zur Darstellung gewählt wurde, der nicht nur technisch perfekt von den Tänzer*innen ausgeführt wurde, sondern auch immer zugänglich für das Publikum ist. Tanz ist immer ein spezieller Fall, denn er ist eine Art eigene Sprache, die eben gerade deshalb für jede*n deutbar und empfangbar sein und genau das gelingt hier absolut!



Ich muss zugeben, dass ich bei Stücken, die länger als eine Stunde gehen (FEAR ging 120 Minuten) immer mal auf die Uhr schaue, denn hin und wieder ziehen sich Szenen oder die Sitze werden unbequem oder oder oder. Bei FEAR jedoch war ich jede einzelne Minute so gefangen, dass ich den Blick und meine Aufmerksamkeit gar nicht von der Bühne abwenden konnte. Denn nicht nur das imposante und wandelbare Bühnenbild, nicht nur die schauspielerischen Leistungen oder die fesselnde Dramaturgie haben mich in den Bann gezogen, sondern auch meine eigenen Gedanken und Gefühle, die während des Stückes in mir wild durcheinander flogen, machten diesen Abend zu etwas ganz besonderem. Denn wie in dieser Kritik sicherlich ersichtlich ist, ist es unmöglich, dass Stück einfach nur passiv aufzunehmen und sich berieseln zu lassen. 

Aktive Positionierung im Theaterraum

Ob man will oder nicht, während des Stückes muss man sich permanent positionieren und seine eigenen Meinungen und Gedanken hinterfragen. Und das ist auch gut so. Denn wenn die hassverbreitenden Zombies ihre eigene fremdenfeindliche und menschenverachtende Propaganda nicht hinterfragen, dann muss es ja andere Menschen geben, die das tun. Und sich dann vielleicht nicht mehr nur im Theaterraum aktiv dazu positionieren.

 Text: Jessica Müller

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